Kurgast Vincenz Müller

Genral bei Hitler und bei Ulbricht

Vincenz Müller (2.v.l.) bei einem Empfang durch Wilhelm Pieck (1957)

Am 27.03.1950 war das spätere Regierungssanatorium in Bad Liebenstein siehe https://www.heimatfreundebali.de/heilbad/sanatorien/heinrich-mann-sanatorium/

eingeweiht worden. Der Namensgeber Heinrich Mann sollte zur Eröffnung persönlich anwesend sein. Er verstarb jedoch ein paar Tage zuvor am 11. März 1950 in Santa Monica (USA).  Zum Eröffnungs-Festakt  im Kurtheater nahmen Teil – der damalige  Minister für Gesundheit der DDR , Dr. Luipold Steidle, die Schriftsteller Franz Hammer und Arnold Zweig.
Ein erster namhafter Gast in dieser besonderen Kureinrichtung war Adolf Hennecke
.
Ein außergewöhnlicher Kurpatient war in dieser Klinik 1955 Vincenz Müller.

Mein Studienfreund Prof.Dr.J. Ohser hat mich auf das Buch vom Politologen Peter Joachim Lapp aufmerksam gemacht, das 2003 mit dem Titel „ General bei Hitler und Ulbricht“ erschienen war. Es beschreibt das Leben dieses Mannes. Ein Foto in diesem Buch zeigt Vincenz Müller 1955 beim Pilze sammeln in Bad Liebenstein zusammen mit Heinrich Homann – der zu dieser Zeit stellvertretender Vorsitzender der NDPD war. Ob Eveline Wunderlich, die als persönliche Krankenschwester für ihn eingeteilt war und seine langjährige Geliebte wurde, in Liebenstein dabei war, ist bisher nicht dokumentiert.

Vincenz Müller war im Jahr 1953 zum Generalleutnant befördert und zum Chef des Stabes der Kasernierten Volkspolizei (KVP) ernannt worden. Von 1949 bis 1952 war er erster stellvertretender Vorsitzender der NDPD und Vizepräsident der Volkskammer. Mit deren Umwandlung in die Nationale Volksarmee (NVA) wechselte er 1956 als Chef des Hauptstabes der NVA in das Ministerium für Nationale Verteidigung und wurde zugleich Stellvertreter des damaligen Innen- und späteren Verteidigungsministers Willi Stoph. Müller war damit der Ranghöchste der (im Vergleich zur Bundeswehr) wenigen ehemaligen Offiziere der Wehrmacht in den DDR-Streitkräften.

Wie verlief Müllers Militärkarriere. Er wollte unbedingt Berufsoffizier werden. Den Ersten Weltkrieg verbrachte der 1914 zum Leutnant ernannte Müller nach schwerer Verwundung in den Vogesen. Ab Juni 1915 zog er mit 250 unterstellten Soldaten der deutschen Militärmission in der Türkei nach Konstantinopel. Nach dem November 1915 zog er von Berlin nach Bagdad. Ende 1916 erkrankte er an Thyphus und Malaria und kehrte zum Lazarettaufenthalt nach Ulm zurück. Nach seiner Genesung meldete er sich im Juni 1917 freiwillig als Lehrer an der Pionieroffiziersschule in Caspali im Osmanischen Reich, wo er Taktik-Lehrer wurde. Von Anfang 1918 bis zum Kriegsende kämpfte er an der Westfront.

Er diente nach dem 1.WK in der Weimarer Republik den Reichspräsidenten Ebert und Hindenburg. So wechselte er im Jahre 1923 in das Reichswehrministerium nach Berlin, wo er bis 1933 zum Kreis der Mitarbeiter von Kurt von Schleicher (am 30. Januar 1933 wurde an seiner Stelle Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt) gehörte. Kurt von Schleicher war General, Reichswehrminister und letzter Reichskanzler der Weimarer Republik. Vincenz Müller wurde nachhaltig von Schleicher beeinflusst, dieser war sein Freund und Förderer. Schleicher wurde 1934 im Zuge des sogenannten Röhm-Putsches erschossen.

Müllers erste Rolle in der deutschen Geschichte sollte der „Preußenschlag“ sein - am 20. Juli 1932 führte er auf Weisung des Ministers Schleicher die Absetzung der preußischen Regierung aus und nahm die Polizeiführung in Arrest.

Von 1940 bis 1943 war Müller Chef des Stabes der 17. Armee der Ostfront. Seine Mitschuld an Repressalien und Ermordung von Zivilisten, insbesondere der jüdischen Bevölkerung, sollte im Nachkriegsdeutschland in der BRD zu Prozessen gegen Müller führen - die Sowjetunion stellte sich allerdings hinter ihn..

Nach seiner Ernennung zum Generalmajor und einem Lazarettaufenthalt diente der zum Generalleutnant beförderte Müller 1943 kurzzeitig als Kommandeur der 56. Infanterie-Division und weiteren wichtigen Führungspositionen. Am 7. April 1944 wurde ihm das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes verliehen. Die Aussichtslosigkeit der Kämpfe und die Unfähigkeit des Oberbefehlshabers erkennend, ritt Müller nach eigenen Angaben am 8. Juli 1944 in aussichtsloser Lage zur sowjetischen Seite, wo er sich gefangen nehmen ließ und umgehend veranlasste, dass ein von ihm verfasster Befehl, die Waffen niederzulegen, per Flugblatt über seinen Truppen abgeworfen wurde. Dies rettete zahlreichen Soldaten das Leben.

Müller wurde Mitglied im Nationalkomitee Freies Deutschland und dem Bund Deutscher Offiziere. Wolfgang Leonhard urteilte später: Müller habe sich ganz bewusst und berechnend in den Dienst der Sowjetunion gestellt.

1955 und 1956 führte Müller im Auftrag der DDR-Regierung mit dem damaligen Bundesfinanzminister Fritz Schäffer (CSU)) in Ostberlin geheime Gespräche über die Chancen einer deutsch-deutschen Verständigung mit dem Ziel einer Konföderation. Müller deutete einen bevorstehenden Sturz Ulbrichts und die Möglichkeit eines wiedervereinigten Deutschlands an, das aber so neutral wie Österreich sein solle.

Vincenz Müller geriet dann aber nach und nach ins Abseits. Am 12. Mai 1961 beging Müller durch einen Sprung aus der Loggia seines Hauses in Berlin-Schmöckwitz Suizid.

 

Wolfgang Malek im Mai 2020

 

1. Sitzung der Volkskammer. Am 8.11.1950 fand im Haus der Volkskammer in Berlin die 1. Vollsitzung der neugewählten Volkskammer statt. UBz: Nach der Wahl des neuen Präsidenten der Volkskammer. 1. Reihe v.l.n.r.: Vincenz Müller (NDPD), Hermann Matern (SED). Präsident Johannes Dieckmann und Minister Goldenbaum.